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15.04.10 –
Rede zur Verabschiedung des Haushaltes 2010 in der Sitzung des Rates vom 15.04.2010
Herr Schönauer, meine Damen und Herren, hat seine Einbringungsrede für den Haushalt 2010 mit verschiedenen - damals fiktiven - Schlagzeilen der Tagespresse begonnen und gefolgert: Die Finanzkrise hat die Stadt Telgte erreicht.
Herr Stellvertretender Bürgermeister, meine Damen und Herren, Herr Schönauer hatte Recht, und er hat trotzdem eine wichtige Seite des derzeitigen Finanzdesasters der Städte und Gemeinden ausgeblendet. Die wegbrechenden Einnahmen sind für die Kommunen inzwischen das zentrale Problem, dem mit noch so großen Sparanstrengungen auch nicht ansatzweise beizukommen ist.
Ich darf dazu eine - ganz reale - Ausgabe der Westfälischen Nachrichten vom Freitag letzter Woche für den Kreis Warendorf zitieren. Überschrift „Kurz vor dem Kollaps". Dort wird Everswinkels Bürgermeister Ludger Banken wie folgt zitiert: „Selbst wenn ich Vitus-Bad und HOT schließe und die Schülerbeförderung auf Null setze, kann ich nicht mal die Hälfte des Finanzproblems lösen. Dagegen können wir nicht ansparen." (Zitat Ende)
Wir könnten das für Telgte einmal gedanklich durchexerzieren. Streichen wir die jährliche Verlustabdeckung für das Waldschwimmbad, streichen wir den städtischen Zuschuss zur Musikschule, zur Stadttouristik, zur städtischen Bücherei und zur gesamten Kulturförderung, die Sportförderung, den Zuschuss zur Volkshochschule und den Beitrag der Stadt zum Heimathaus Münsterland. Wir könnten vielleicht gerade einmal ein Drittel des strukturellen Defizits ausgleichen.
Aber um welchen Preis? Es heißt häufig, die Kommunen leben über ihre Verhältnisse.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat aber in den vergangenen Jahren die Lasten der Städte und Gemeinden drastisch erhöht. Steuermehreinnahmen der Jahre 2005 bis 2009 hat NRW den Kommunen vorenthalten. Das Land hat unter anderem den kommunalen Anteil an der Grunderwerbsteuer gestrichen. Dafür beteiligt es aber die Städte und Gemeinden doppelt so hoch an den Krankenhausinvestitionen und leitet die Bundesbeteiligung an den Kosten des Wohngeldes nicht an die Kommunen durch. Weitere Kürzungen des Landes sind in der eben besprochenen Resolution aufgeführt. Der dickste Brocken dürften in dem Zusammenhang die zu viel an das Land gezahlten Millionen aus der Beteiligung der Kommunen an den Einheitslasten sein - laut Verfassungsgericht allein für das Jahr 2006 rd. 380 Millionen Euro, insgesamt fast 1,2 Milliarden Euro für die Jahre 2006 bis 2009.
Und auch der Bund trägt durch die Reduzierung der kommunalen Einnahmen und Verlagerung von Lasten enormen Anteil an der finanziellen Misere der Städte und Gemeinden. Die Steuerausfälle im Rahmen der beiden Konjunkturpakete belaufen sich auf jährlich 13 Milliarden Euro, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erhöht diese Steuerausfälle um weitere 8 Milliarden Euro. Diese Steuereinnahmen fehlen in schmerzhafter Weise den Kommunen, die ihre Aufgaben auf diese Weise nicht mehr dauerhaft und zuverlässig wahrnehmen können. Und das, meine Damen und Herren, ist dann nicht mehr bloß ein finanzpolitisches Problem, sondern es ist ein demokratierelevantes Problem, das die Grundlage unseres Gemeinwesens untergräbt.
Wenn Sie in den städtischen Haushalt schauen und ihn mit dem Entwurf des Vorjahres vergleichen, werden Sie sehen, dass allein bei den erwarteten Anteilen an der Einkommensteuer ein Rückgang von rd. 1,5 Millionen Euro zu verzeichnen ist. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz lässt grüßen. Jeder und jede hat die Steuerersparnis seit Januar dieses Jahres auf der Gehaltsabrechnung registriert. Das ist schön und schafft auch manchen Haushalten ein Quäntchen mehr Spielraum. Die öffentlichen Haushalte aber stranguliert diese Art einer Politik der Steuergeschenke. Und sie trifft die Menschen dann doch wieder durch reduzierte Dienstleistungen, höhere Gebühren oder Elternbeiträge, durch wegfallende Kulturangebote und andere sogenannte freiwillige Leistungen der Stadt.
Diese schleichende, im Ergebnis aber inzwischen drastische Entwicklung können die Kommunen nicht aus eigener Kraft und eigenen Sparanstrengungen kompensieren. Deshalb hätten wir uns gefreut, wenn der Rat heute zugleich mit der Verabschiedung des Haushaltes die eingebrachte Resolution an Bund und Land verabschiedet hätte.
Dabei sagen wir ja gar nicht, dass die Stadt nicht auch eigene Möglichkeiten zur Konsolidierung des Haushaltes nutzen muss, dass sie nicht auch eigene Anstrengungen zu einer noch größeren Kosteneffizienz unternehmen muss. Sparen ja, meine Damen und Herren, Kaputtsparen aber: Nein, zumindest nicht mit uns.
Ich weiß, dass unsere Ablehnung des Haushaltes nach der sechsstündigen Beratung im Finanzausschuss einige gewundert und irritiert hat. Ich darf Ihnen an zwei Beispielen unsere Haltung noch einmal zu erklären.
1. Die Musikschule.
Die Musikschule Telgte ist ein seit vielen Jahren sehr gut funktionierendes System der musikalischen Ausbildung und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, mit einem sehr hohen Anteil an den öffentlichen Kulturangeboten unserer Stadt, und sie erreichte im Vorjahr bei über 200 öffentlichen Auftritten und Veranstaltungen rund 19.000 Menschen. Wenn die Musikschule einen Sparbeitrag für den Haushalt erbringen soll, darf dies im Ergebnis ihre Funktionsfähigkeit nicht beeinträchtigen.
Genau dies tun Sie aber durch die Rasenmäherkürzungen von 7.500,- Euro in diesem und weiteren 10.000,- Euro im kommenden Jahr. Diese Art des „Sparens" vernichtet die erforderlichen Spielräume, die die Musikschule für eine strukturelle Anpassung an einen geringeren städtischen Zuschuss benötigen würde. Das heißt: Selbst wenn man übereinstimmt in dem Ziel, dass die Musikschule einen Sparbeitrag leisten muss, führt Ihre Art des Sparens zum Verlust der Anpassungsfähigkeit. Und die konkreten Auswirkungen Ihres Beschlusses kennen wir bis heute nicht einmal, denn damit hat sich im Vorfeld niemand befasst.
Wir hatten stattdessen vorgeschlagen, der Musikschule über eine Zielvereinbarung die Möglichkeit zu geben, in den kommenden 2 - 3 Jahren durch eigene Anstrengungen und Projektideen den Zuschussbedarf zu reduzieren. Dem zuständigen Ausschuss sollte dazu ein Bericht über die Situation, die Entwicklungsmöglichkeiten und das Potenzial für Umstrukturierungen vorgelegt werden.
Sie haben das abgelehnt. Wir können - unter anderem deshalb - dem Haushalt nicht zustimmen.
2. Die Stadttouristik
Bei der Beratung über die Einschnitte bei der Stadttouristik stellte sich die Unwissenheit über die Auswirkungen des eigenen Beschlusses noch krasser dar. Verwunderung darüber, dass eine Reduzierung des Wochenstundenkontingentes um rund 20 Prozent auch zu einer Einschränkung der Leistungen und zum Beispiel auch der Öffnungszeiten führen wird (!)
Nach unserer Auffassung - und das entspricht eigentlich auch gesundem Menschenverstand - müsste der erste Schritt eine umfassende Information der Ratsgremien über die geplanten Umstrukturierungen sein.
Der zweite erforderliche Schritt wäre eine Vorstellung der vom Hauptausschuss 2008 bereits beschlossenen Neukonzeption und Neuausrichtung der Stadttouristik für den neu zusammengesetzten Rat. Die im Haushalt 2009 dafür eingestellten Finanzmittel sind ja überhaupt nicht für eine fachliche Beratung und Konzeptumsetzung verausgabt worden. Ergebnisse von internen Workshops zur Stadttouristik liegen auf Eis, sind zumindest bislang den Ratsgremien nicht vorgestellt und mit Blick auf Umsetzungsempfehlungen diskutiert worden.
Die Fraktion Bündnis 90/GRÜNE ist der Auffassung, dass die Angebote und der Service der Stadttouristik ein Aushängeschild unserer Stadt sind. Reduzierte Öffnungszeiten oder ein nicht zeitgemäßes Touristikangebot würden der Stadt auf Dauer schaden, positive Effekte für Gastronomie, Beherbergungsbetriebe, Einzelhandel und andere Bereiche würden verpuffen. Um einen „Mehrwert" für die ganze Stadt Telgte zu erreichen, müssten die erforderlichen Kräfte und Ressourcen für die Stadttouristik gebündelt und verstärkt werden, und nicht geschwächt, wie Sie es mit Ihrem Beschluss getan haben. Sie haben unseren Antrag dazu abgelehnt. Wir können - unter anderem deshalb - dem Haushalt nicht zustimmen.
Die Beispiele machen es vielleicht deutlich: Trotz vieler Übereinstimmungen - der größte Teil der Haushaltsansätze findet ja über alle Fraktionsgrenzen hinweg Unterstützung - treibt uns die Befürchtung um, dass wir uns selbst der Spielräume berauben, die wir für die Herausforderungen der Zukunft benötigen. Und das sind eben nicht immer oder nicht immer nur finanzielle Spielräume, sondern das kreative Potenzial, das im öffentlichen Leben unserer Stadt, in den kulturellen Angeboten, den Bildungsangeboten und im vielfältigen ehrenamtlichen Engagement und Vereinsleben zum Ausdruck kommt. Und das, meine Damen und Herren, muss eine Stadt erhalten, oder zumindest aktiv und vorbereitet in die Anpassungsprozesse mitnehmen.
Die GRÜNE Fraktion hat die Haushalte der letzten Jahre regelmäßig mitgetragen und damit Verantwortung übernommen. Vielleicht sind wir ja im kommenden Jahr wieder dabei. Aber in diesem Jahr ist für den Etat eine Zustimmung aus unserer Sicht nicht drin.
Ich darf zum Schluss ein Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung - insbesondere natürlich der Kämmerei - richten für die schwierige Arbeit der Aufstellung des Haushaltsentwurfs und die freundliche und kompetente Unterstützung bei unseren Beratungen.
Herzlichen Dank!
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